Buchhandlung Neugebauer

Rezensionen

Die langen Abende
 

Inge Krenn


Die langen Abende

In der Kleinstadt Crosby, an der Küste von Maine gelegen, ist das Leben beschaulich und ruhig. Hier lebt Olive Kitteridge, pensionierte Mathelehrerin, die sich auch mit siebzig kein Blatt vor den Mund nimmt und sich mit ihrer ruppigen Art in alles einmischt. Nach dem Tod ihres ersten Mannes heiratet sie Jack Kennison, einst Harvardprofessor, beide fühlen sich einsam und vermissen ihre erwachsenen Kinder. Wir begegnen vielen alten Bekannten aus dem Buch „Mit Blick aufs Meer“, für das Elizabeth Strout 2009 den Pulitzerpreis erhielt, aber auch neue, überraschende Begegnungen, manchmal erfrischend, zuweilen schmerzhaft, finden wir hier. Ein Buch über Liebe, Verlust, Reue, versäumte Gelegenheiten, das Altern und die Endlichkeit.

Barbara Pernter




Elizabeth Strout ist eine großartige Erzählerin. Auf den ersten Blick ist es nur Alltag aus einer amerikanischen Kleinstadt, was sie uns erzählt. Aber je weiter wir lesen, desto mehr merken wir, dass es Einblicke in das Leben von Menschen sind. Manches ist normal, aber wir finden auch bewegendes, verwirrendes und auch die Tragik so einiger Ereignisse wird uns bewusst. Aber letztlich ist es doch Alltag.

heinoko


Kaleidoskop der Einsamkeiten


Der Verlag hatte es sich leicht gemacht. Seine Inhaltsangabe zum vorliegenden Buch ist in etlichen Sätzen identisch zur Inhaltsangabe zu „Mit Blick aufs Meer“, insbesondere was die pensionierte Lehrerin Olive Kitteridge betrifft, die uns in „Die langen Abende“ wieder begegnet. Für „Mit Blick aufs Meer“ bekam die Autorin 2009 den Pulitzer-Preis. Jetzt also, 11 Jahre später, taucht Olive Kitteridge wieder auf, sie, „die sich mit siebzig noch in alles einmischt und so barsch ist wie eh und je“. Und die Kleinstadt Crosby an der Küste von Maine ist ebenfalls die gleiche wie damals, eine Stadt, in der nichts passiert und die sozusagen das Bühnenbild darstellt für die Geschichten, die uns Elizabeth Strout erzählt.

Der Roman erscheint mir wie ein Kaleidoskop, eine Sammlung voller bunter Glasstückchen, die sich bei jedem Umblättern von Seite zu Seite verschieben und sich zu neuen Mustern des Lebens formen. In den „Glasbildern“ kann sich der Leser verlieren, weil das, was uns die Autorin schildert, so schlicht, so normal, so alltäglich ist und durch ihre Sicht durchs Kaleidoskop doch zu etwas Besonderem wird.

Ein stilles Buch ist dieser Roman. Man muss sich als Leser Zeit nehmen, sich einlassen auf die leisen Töne, auf sensibles Wahrnehmen von unscheinbar wirkenden Momenten des Glücks.. Gleichzeitig ist das Buch auch aggressiv-kraftvoll. Es greift den Leser an, es springt ihn geradezu gewaltsam an mit seinen dunklen Seiten, mit den Einsamkeiten, mit Bosheiten, Krankheiten, Verlust, mit Versäumtem und dem Altern. Ein hinreißender Roman, wie ich finde, der den Leser sowohl fordert als auch beschenkt.