Buchhandlung Neugebauer

Rezensionen

Trotzdem
 

Sonja Kienzl




Zum Zeitpunkt der Ausgangsbeschränkungen während der akuten Phase der Corona-Pandemie führten die literarischen Juristen Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge ein philosophisches Gespräch über die weltweite Ausnahmesituation. Sie stellten fest, dass Reichtum und Macht keinen Schutz vor dem Virus bilden, die Folgen in Ländern ohne adäquate medizinische Versorgung jedoch ungleich brutaler ausfallen. Ärzte standen deshalb unter einer starken seelischen Belastung, weil sie statt zu heilen über den Tod entscheiden mussten. Räumlich umgrenzte Ereignisse wie z.B. Naturkatastrophen erschüttern das gesellschaftliche Gefüge nur kurz, während die schleichende Ausbreitung eines Krankheitserregers für größere Furcht sorgt. Das Virus bringt eine Zeitenwende mit sich, wobei Ferdinand von Schirach die beunruhigende Tendenz wahrnimmt, dass sich autoritäre Strukturen verfestigen, weil die Menschen in ihrem Bedürfnis nach Sicherheit weitgehende Einschränkungen in der Freiheit akzeptieren. Im Gespräch spannen die beiden Schriftsteller einen weiten Bogen von den Seuchen des Mittelalters über große Aufklärer und autoritäre Herrscher bis hin zur Feststellung, dass der Mensch die Chance nutzen sollte, innezuhalten und ein gerechteres und nachhaltigeres Gleichgewicht der Kräfte in der Welt zu schaffen. Die Eigendynamik des intelligenten Austausches zwischen den Autoren unterstreicht die Wichtigkeit von offenen Gesprächen, die neue Denkansätze generieren und den Geist herausfordern.